Das therapeutische Gespräch

unterscheidet sich sehr von einem Gespräch „unter Freunden“. Es kann sehr unterschiedliche Aspekte haben. Je nach Thema und Persönlichkeit kann mal der eine Aspekt der wichtigere sein, mal der andere. Manchmal will nur etwas „ausgekippt“ werden, aber meist geht es um Selbsterforschung, um Arbeit an sich selbst auf unterschiedliche Weise. Hier sollen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Aspekte genannt sein, die in meiner Arbeit immer wieder tragend und hilfreich sind.

 

Sprechen erleichtert

Viele der Dinge, die in der Therapie erzählt werden, finden sonst keinen Zuhörer, sei es, dass die Personen in der Umgebung parteiisch sind, oder das zu erzählende als zu belastend eingeschätzt wird. So kann es leichter sein, einer „neutralen“ Person davon zu erzählen. Das nimmt Druck; es tut häufig gut, die Belastung mit jemandem zu teilen, und sei es nur durch das zuhören.

 

Im Aussprechen entsteht Klarheit

Für sich selbst zu denken ist etwas gänzlich anderes, als seine Gedanken auch auszusprechen. Das Sprechen verleiht dem mitgeteilten eine realere Form, in der sich vieles von allein ordnet und klärt.

 

Resonanz, Wertschätzung und Spiegelung erlauben eine sehr viel tiefere Selbsterforschung

Im gemeinsamen, wertfreien und offenen Erforschen der Gedanken, Gefühle und inneren Verbindungen und Hintergründe entsteht eine Atmosphäre der Neugier und Akzeptanz, die erlauben, sich selbst auf freundlich-annehmende und zugleich neutrale Weise tiefgehend kennen zu lernen.

 

Überparteilichkeit befreit von der Bewertung

Vieles ist mit Scham, inneren Verboten und Schuldgefühlen belegt. Aber für alles, was geschieht, gibt es gute und wichtige innere Gründe. Aus falschem Moralismus herauszukommen befreit von inneren Verurteilungen und führt zum tieferen Empfinden des wirklich „eigenen“ an Standpunkt. Verstehen führt zu Verständnis. Verständnis ersetzt Urteile.

 

„Wer bist Du?“

Jeder von uns trägt neben dem eigenen eine große Last an Fremdurteilen, verinnerlichten Geboten, Beziehungspersonen, Ansprüchen und so weiter; auch der Alltag, den die meisten führen, dient mehr „den anderen“. In all dem ist aber eine einmalige, besondere, empfindende Person oder „Seele“ verborgen oder manchmal begraben; manchmal hat grade dieses eigene in der Familie nicht sein dürfen. Wenn auf diesen inneren Kern, auf die „Seele“ oder wie man es nennen möchte gelauscht wird, so erlebt dieses „eigene“ vielleicht zum erstenmal im Leben, bedeutungsvoll, wichtig, gewollt zu sein.

 

Die zweite oder dritte Meinung

Eine wirklich neutrale Sicht gibt es nicht, immer fließen subjektive Einflüsse mit ein, persönliche Werte, eigene Erfahrungen. Aber oft ist das Bedürfnis da, zu einer bestimmten Geschichte eine „begründete Meinung von außen“ zu hören. Diese hilft bei der eigenen Positionsbestimmung, sei es, dass man sich verstanden fühlt und bestätigt, und Aspekte erkennen kann, die vorher nicht so klar waren, sei es indem man Widerspruch findet an der Meinung und dadurch klarer wird in der eigenen Meinung

 

Beziehung üben

Das therapeutische Miteinander hat bestimmte Strukturen und Formen. Diese lassen sich in vielem übertragen auf das Leben draußen mit anderen; so kann das therapeutische Miteinander Modellfall und Übungsfeld sein für Beziehungen außerhalb der Therapie.

 

Fachwissen

Das psychologische Wissen und die Erfahrung, die sich in 20 Jahren therapeutischer Arbeit angesammelt haben, sind oft von unschätzbarem Wert, um sich selbst verstehen zu lernen, Anregungen zu bekommen, wie man mit sich und den anderen umgehen und zurechtkommen kann. Übungen ermöglichen Zugang zu speziellen Qualitäten und Fragestellungen. Der Verlauf des Gesprächs selbst soll sowohl stärken und unterstützen als auch Verarbeitung und Lösung von alten Erlebnissen herbeiführen und begleiten.

 

Außergewöhnliche und komplexe Störungen bearbeiten

Über die „normalen“ Lebensbelastungen hinaus gibt es häufig Störungs- und Belastungsmuster, die einer speziellen Umgangsweise, einer speziellen Behandlung bedürfen, um heilen zu können. Dies sind insbesondere Angststörungen, Traumafolgestörungen, und frühe bzw. strukturelle Störungen wie die Borderline-Störung. Alle diese brauchen eine spezielle therapeutische Bearbeitung, können durch „normale“ Gesprächstherapie sogar verschlimmert werden.

 

Gefühle sind die eigentlichen Beweggründe

Gewöhnlich bewegen sich viele Menschen im gedanklichen. Die Logik des Denkens bestimmt Leben und Sein. Dabei ist das Denken häufig nur die Marionette der Gefühle. Gefühle haben die „älteren Rechte“, auch in der Hirnphysiologie. Sie bestimmen unsere Entscheidungen, und dem Verstand obliegt es, eine mehr oder weniger vernünftige Erklärung für die Gefühlsentscheidung zu finden. Auch die Problemlösung via Denken gelingt in den wichtigsten Fragen nicht. Es kommt zu Gedankenkreisläufen, die sich wiederholen, ohne zu einer Lösung zu finden, zum Grübeln, gar zum Grübelzwang. Da ist es wichtig, den Weg von den Gedanken zu den Gefühlen zu finden. Denn es ist das Recht und das Bedürfnis der Gefühle, bewusst gefühlt zu werden. Gefühle, die ihren ordnungsgemäßen Weg durchlaufen dürfen, kommen zu Ende und geben Raum für neue Gefühle.

 

Sprache finden

Menschen reden über Gärten, Autos, Urlaube und Beziehungen. Aber es gibt nur wenige Gelegenheiten, wo über die Bewegungen des seelischen gesprochen wird, und die Art wie das seelische im Körper spürbar wird, und wie das miteinander zusammenhängt. So ist vieles nur vage gespürt, bleibt im unklaren, im nicht recht fassbaren. Die Sprache für das innere Erleben muss oft erst gefunden werden. Das braucht auch Unterstützung durch ein Gegenüber, das Sprache für verschiedenste Zustände zur Verfügung stellt, oder das Finden eigener Formulierung begleitet.

 

Den Körper gewinnen

Die meisten Menschen glauben, dass sie einen Körper „haben“. Der soll unauffällig seinen Dienst verrichten und funktionieren. Tatsächlich aber ist der Körper viel mehr als das: er ist Lebensraum des seelischen. Das körperliche wirkt auf das seelische zurück, und das seelische gestaltet den Körper in Funktion, Verhalten und Aussehen, es „lebt“ im und durch den Körper. Ohne Körper gibt es keine Lebendigkeit und keine Gefühle, keine Stimmungen, letztlich nicht einmal Gedanken. So profitiert ein Mensch davon, wenn der Körper mehr und mehr ein bewusst gefühlter und seelisch gefüllter Raum ist, wenn die Sprache des Körper verstanden werden kann, wenn das Selbstempfinden Einzug hält und Versöhnung findet mit dem körperlichen Sein, dem in-der-Welt-sein.

 

Stärkung und Ermutigung

Jeder von uns hat eine Vielzahl von Stärken, Fähigkeiten und Eigenschaften, die helfen, das Leben zu bewältigen. Jedoch geraten diese Dinge aus dem Blickfeld, ähnlich einer guten Nachricht, die nicht in der Zeitung erscheint. Diese Schätze in das Licht des Bewusstseins zu heben macht erlebbar, wie viel gesundes und stabiles da ist, was auch die Beschäftigung mit den Belastungen erleichtert. So soll Therapiezeit nicht mehr als nötig Belastungszeit sein, sondern auch Stärke für das Leben und den Alltag geben.

 

Die inneren Teile

Die Person, die man ist, ist nicht immer genau die gleiche. Da wohnen nicht nur ach, zwei Seelen in der Brust: es gibt viele Stimmen, Stimmungen, Rollen, die scheinbar ein gewisses Eigenleben in uns besitzen. Vom „inneren Kind“ ist viel die Rede; viel zu selten vom „inneren Erwachsenen“, aber den „inneren Kritiker“ kennt fast jeder. Viele Verstrickungen gerade in Beziehungen, aber auch bei vielen anderen Konflikten lassen sich sinnvoll eigentlich erst verstehen, wenn die Position und das Interesse der verschiedenen inneren „Teile“ bewusst wird, und im inneren Dialog mit diesen verschiedenen Selbst-Aspekten lässt sich dann die Lösung finden, die dann innerlich „von allen Seiten“ akzeptiert werden kann.

 

Projektionen erkennen und bearbeiten

Jeder von uns trägt einen Satz von Beziehungserfahrungen in sich. Es braucht nur wenige Momente, dann ist eine erste Hypothese „vom anderen“ gebildet, und eine bestimmte Beziehungsform etabliert sich. Wenn diese innere Hypothese offen bleibt und das Gegenüber realistisch wahrgenommen wird ist das auch sinnreich. Jedoch können grade die ersten Beziehungserfahrungen so prägend sein, dass sie immer wieder auf neue Beziehungen „übergestülpt“ werden, und dann verursachen sie oft vielfältige Schwierigkeiten in Beziehungen. Die damit verbundenen Gefühle und Verhaltensweisen tauchen auch in der therapeutischen Beziehung auf. Anders als im Alltagsbereich, wo nur „reagiert“ aber nicht reflektiert und modifiziert wird, ist ein erfahrener Therapeut wenig „kränkbar“, sondern in der Lage, in angemessener Weise das Verhalten zu spiegeln und zu hinterfragen, das er erlebt, und auch seine eigene innere Antwort auf sein Gegenüber soweit es hilfreich ist zur Verfügung zu stellen.

 

Der spirituelle Aspekt

In bestimmten Krisen und Belastungen, sowie bei Menschen, die einen „inneren“ Weg gehen oder auf der Suche nach Sinn und Verbindung zum Leben sind, braucht es die Einbeziehung des „großen Ganzen“, der „inneren Verbindung zur Schöpfung“. Die essentiellen Erfahrungen sind überkonfessionell. Sie brauchen kein heiliges Buch, sondern eine fühlende, verstehende Seele und eine Hinführung in die eigene Tiefe des seelischen. Im inneren Einklang wird wie von selbst auch die über sich hinausgehende Verbindung spürbar.

 

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